Von China bis nach Deutschland
Wie diese Kampfkunst den Weg von China bis in das Saarland schaffte und die Entstehung von Wing Chun liegt leider im Dunkeln der Geschichte. Es gibt wenige Quellen zur Geschichte des Shaolin-Klosters und überhaupt keine über die genauen Anfänge des Wing Chun.
In der populärwissenschaftlichen Literatur, in schlechten Kung Fu Büchern und auf etlichen Webseiten, wird immer wieder die gleiche Mär erzählt und als Tatsache hingestellt.
Die Sage von Yim Wing Chun
Es heißt, dass eine Frau Yim Wing Chun aus Kanton (Guangzhou) in China mit Leung Bok Chau, einem Salzhändler aus Fukien verlobt wurde.
Ihre Mutter starb kurz nach der Verlobung. Ihr Vater Yim Yee wurde eines Verbrechens beschuldigt und konnte nur knapp einer Gefängnisstrafe entrinnen. Aus diesem Grund zog die ganze Familie an die Grenze zwischen Szechuan und Yunan an den Fuß des Tai Leung Berges (von dem keiner weiß wo er liegt). Dort betrieben sie einen Lebensmittelladen. Dies soll sich zur Herrschaft des Kaisers K'anghsi (1662-1722) zugetragen haben.
Im Shaolin-Kloster genannt Siu Lam-Kloster, das am Sung-Berg in Honan steht, betrieb man viel Wu Shu (für den Kampf und zur Gesundheit). Dies erzeugte viel Angst bei der chinesischen Manchu Regierung worauf diese Truppen aussandte, um das Shaolin-Kloster einzunehmen. Doch keine Chance. Der beste Prüfling von Shaolin Chan Man Wai der den öffentlichen Dienst in diesem Jahr innehatte stellte sich mit der Regierung gut und schlug einen Plan vor, worauf er sich mit dem Shaolin-Mönch Ma Ning Yee und anderen verschwor. Feuer wurde im Shaolin-Kloster gelegt (wozu es keine Beweise gibt), während von außen die Soldaten angriffen. Das Kloster wurde angeblich 1674 (oder doch 1730 in der Zeit von Yongzheng) durch das Feuer vollständig zerstört und die Mönche gingen ihrer Wege. Zeitlich passt 1730 besser zu den späteren Daten.
Laut Sage konnten dem Angriff auf Shaolin entkommen: Ng Mui (Wu Mei) eine buddhistische None und Meisterin des Pflaumenblütenstils (eng: plum blossom fist). Ng Mui ist angeblich auch verantwortlich für Stile wie z.B. Wu Mei Pai, Hok Gar. Dann Meister Pak Mei, Shaolin-Abt Chi Shin (er soll der Sage nach mit verantwortlich für das Hung Gar Kung Fu und das Weng Chun sein), Meister Fung To Tak und Meister Miu Hin (Großvater von Fong Sai Yuk. Einige behaupten er war liiert mit Ng Mui).
Die None Ng Mui bekam Herberge im Weißen Kranich Tempel (auch Bak Hoo Tempel) am Chai Har-Berg (auch Tail Leung Berg). Der soll zwischen den chinesischen Provinzen Sichuan und Yunnan liegen.
Realistischer ist wohl das Green Cloud Kloster in Kanton. Dort war Sing Lung (auch Hing Duk genannt) ihr Schüler. Weiter heißt es nun, dass Ng Mui angeblich Yim Yee und seine Tochter Yim Wing Chun kennen lernte. Das Mädchen Wing Chun war eine junge Frau und angeblich sehr schön, was das Interesse eines dort wohnenden Schlägers auf sich zieht. Er will nun Wing Chun zur Heirat zwingen. Als Ng Mui davon erfuhr, stimmte sie zu, Wing Chun Kung-Fu-Privatunterricht zu geben, damit diese sich in Not selbstverteidigen kann. Wenn der Schläger sie nochmal nerve, könnte Wing Chun das Problem selber lösen und endlich ihren Verlobten Leung Bok Chau heiraten.
Nun endlich lernt Wing Chun von Ng Mui in den Bergen Kung Fu und meisterte natürlich auch die erlernten Techniken., worauf sie den Schläger zum Kampf auffordert und gewinnt. Yim Wing Chun soll laut Wikipedia um 1790 ihr Training bei der None beendet haben. Die Nonne muss 1790 extrem alt gewesen sein. Ng Mui soll auch Yim Wing Chuns Mann Leung Bok Chau Kung Fu beigebracht haben. Leung Bok Chau gab die erlernten Techniken an Leung Lan Kwai weiter. Yim Wing Chun soll laut Wikipedia um 1840 gestorben sein.
Von der roten Dschunke zu Yip Man
Leung Lan Kwai lehrte sein Kung Fu den Mitgliedern der "roten Dschunke", darunter Wong Wah Bo. Auf dieser roten Dschunke arbeitet Wong Wah Bo mit Leung Yee Tei zusammen. Dies muss sich am Ende des 18. Jahrhundert, bzw Anfang des 19. Jahrhundert zugetragen haben (wohl zwischen 1810-1850). Zufall war es, dass der Abt des Klosters Chi Shin auch auf der roten Dschunke arbeitete (als Koch). Leung Yee Tei lernte von Chi Shin die Sechseinhalbpunkt - Langstocktechniken. Dieser gab sie auch seinem Freund Wong Wah Bo weiter. So verbesserten und erweiterten beide das ursprünglich gelernte. Leung Yee Tei lernte auf der Dschunke also die Kampfkunstideen der None (über seinen Kameraden Wong Wah Bo) und Langstocktechniken von Chi Sin.
Sein Wing Chun gab Leung Jan an Chan Wah Shun (um 1888) weiter, der dann später Yip Man als Schüler annahm. Yip Man selber führte, wie viele zuvor, Modifikationen am Wing Chun durch. Yip Man Wing Chun enthält z.B. keine 5 Elemente und keine 8 Triagramme Philosophie mehr. Auf Yip Man berufen sich viele der in Europa vertretenen Wing Chun (Wing Tsun, Ving Chun, Ving Tsun usw.) Stile.
Painted Face Kam (auch Da Fa Min Kam / Sum Kam genannt) soll der beste Schüler von Chi Shin gewesen sein. Es heißt, dass Fung Siu-Ching von Kam, dass Weng Chun System gelernt haben soll. Stimmte dies, hätte z.B Yuen Kai San von dem einen Sifu das Weng Chun und nicht das Wing Chun System gelernt. Neben der im Stammbaum (siehe dort dann weiter unten) angeführten Linie Ng Mui->Yim Wing Chun->Leung Bok Chau->Leung Lan Kwai->Wong Wah Bo->Leung Jan->Leung Big/Chan Wah Chun->Yip Man und die von Yuen Kai San, gibt es andere Linien. Diese möchte ich nicht alle anführen. Interessant ist vielleicht noch Painted Face Kam -> Law Tiu Wen -> Law Ting Chau usw.
Die Vielzahl der Linien hat dazu geführt, dass es heute viele verschiedene Wing Chun Systeme gibt, die sich in Training, Bewegungsausführung und Philosophie unterscheiden.
Weitere Sagen
Gemeinsam habe die meisten Wing Chun Entstehungssagen, dass sie sich auf ein Süd-Shaolin-Kloster in Fukien beziehen (siehe kung fu ). In diesem Kloster sollen sich vor allem Ming-Treue versammelt haben, um sich gemeinsam gegen die Qing Herrschaft zu stellen. Hierunter fällt z.B die Familie Chu. In diesem Shaolin-Kloster sollen verschiedene Stile Einfluss auf das Entstehen des Wing Chun gehabt haben. Hierzu zählen vor allem das "White Crane Kung Fu" und das "Chu Gar" (Name von der Familie Chu). Weiterhin heißt es, dass es in diesem Kloster eine Trainingshalle gab, die "Weng Chun Tong" hieß und dass nach dieser der Wing Chun Stil benannt wurde.
Das Pao Fa Lin Wing Chun beschreibt in seiner Version der Entstehungsgeschichte des Wing Chun eine politische Phrase aus der Qingperiode als Kampfansage gegen die Qing und Neuerwachung der Mingdynastie. Sie heißt "Weng Yin Chi; Mou Mong Hon Juk; Daai Dei Wui Chun" was soviel bedeutet wie "Sprich immer entschlossen; vergiss nicht die Han Nation; wieder wird zurückkehren der Frühling" Diese Phrase soll verkürzt als "Weng Chun" oder "Wing Chun" verbreitet worden sein und somit später in Verbindung mit der im Kampf gegen die Qingdynastie entstehenden Geheimbünde weitergegeben worden sein. Weng Chun oder Wing Chun entstand demnach aus verschiedenen Urstilen, als Mittel zur Rebellion gegen die Qing.
Einige behaupten, dass es auch Verbindungen zum Ur-Taiji gibt und das die Ideen und Konzepte des Taiji starken Einfluss auf die Entwicklung des Wing Chun nahmen.
Wing Chun heute
Somit entstanden etliche verschiedenen Wing Chun Stile. Einige Systeme legen z.B. großen Wert auf die Kontrolle der inneren Energie Chi. Einige Wing Chun Systeme nehmen für sich in Anspruch, die einzig wahren und klassischen Lehrmethoden zu verwenden, wie sie früher schon die Shaolinmönche in Shaolin praktizierten. Leider handelt es sich hier um nicht mehr als ein Marketingkonzept, weil es keine verlässlichen Dokumente aus dieser Zeit gibt, die diese Behauptung bestätigen könnten.
In damaliger Zeit war es eher undenkbar, dass eine Frau in einem Männerkloster war, geschweige denn Männer unterrichtete. Tatsache ist, dass alle Systeme, die bisher etwas über ihre Geschichte veröffentlichten und den Versuch starteten, ihr System als "Original" zu postulieren, es nicht geschafft haben, ein ordentliches Primärquellenverzeichnis vorzulegen, mit dem man sich von der Richtigkeit der Behauptungen hätte überzeugen können.
Selbstverteidigung und Kampfkunst sind nichts Statisches, sondern entwickelt sich und unterliegt Veränderungen. Yip Man Wing Chun ist kein Pan Nam Wing Chun und Garry Lam Wing Chun sieht anders aus als Yuen Kai San Wing Chun.
Für welche Selbstverteidigung man sich entscheidet, sollte davon abhängen, wie effektiv und logisch ein System aufgebaut ist, und nicht die angebliche Zurückverfolgbarkeit bis zu irgendwelchen Mönchen in irgendwelchen Klöstern.
Hier die wichtigen Provinzen und Städte in Verbindung mit Wing Chun in China: Hier die Karte zu Kanton...